“Alles fast wunderbar” – über den Wert eines Bildes.

Heute ist Kinderkrebstag. Vor neun Tagen war Weltkrebstag. Diese Geschichte widme ich meinem Schwiegerpapa Waldemar, der im Jahr 2014 an Krebs gestorben ist. Wir denken an Dich, heute und an allen Tagen. 

Ich möchte dir heute eine Geschichte erzählen. Eine persönliche Geschichte. Eine Geschichte, die mir gezeigt hat, wie wertvoll Bilder sein können. Wir sprechen immer davon, wie wichtig Bilder sind. Was sie bedeuten. Was sie transportieren. Aber was bedeutet das eigentlich? Du wirst dich jetzt vielleicht fragen, wie ich das meine. Naja, ich meine, welche persönlichen Geschichten verbindest du mit bestimmten Bildern? Welches Bild lässt dich lachen, welches lässt dich weinen? Hast du je bereut, ein Bild nicht gemacht zu haben, weil du dachtest „Beim nächsten Mal mache ich ein Foto!“? Dazu möchte ich dir etwas aus meinem Leben erzählen. Über ein Bild, das mich zum Lachen und zum Weinen bringt und das zur selben Zeit. Es geht hier aber im Prinzip nicht nur um Bilder sondern um eine Art, dem Leben zu begegnen. Eine Lektion, die mich bewusster leben lässt. Die mich jede Sekunde schätzen lässt. Die mich gelehrt hat, dass du heute Erinnerungen schaffen musst, damit du morgen an sie denken kannst. Dass die großen Momente leider nie zweimal passieren. Dass der Wert eines Bildes unendlich sein kann, selbst wenn du es mit deinem Handy geschossen hast. Wenn Liebe dahinter steht, dann ist dieses Bild wichtig – ganz egal ob es 5 oder 20 Megapixel hat.

Ich könnte jetzt langsam auf den Punkt kommen aber ich muss dir leider sagen, so weit bin ich noch lange nicht. Ich sage oft, dass Bilder Geschichten erzählen müssen. Es geht hier nicht um ein kurzes Statement und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es ohnehin nur die Menschen bis zum Ende lesen, die verstehen, worum es mir geht. Es geht darum, dass wir das Leben schätzen sollten. Dass wir uns manchmal in einem Moment verlieren müssen um ihn voll und ganz zu spüren. Nicht zu viel nachdenken, einfach mal loslassen. Es geht darum, dass mein Leben mir Lektionen erteilt hat, die mich als Mensch so existenziell geprägt haben, wie ich es niemals erwartet hätte. Wenn ich heute sage, dass es wichtig ist, in Bildern Geschichten zu erzählen, dann weil ich wirklich mit Haut und Haaren erfahren habe, dass Bilder so unsagbar bedeutend sein können. Dass sie helfen, heilen und erinnern können. Klar, ich habe das schon immer so gesehen und das ist auch der Grund, wieso ich fotografiere, bis zum Jahr 2014 habe ich es aber nicht selbst gespürt, was das wirklich bedeutet.

Im Sommer des Jahres 2014 ist mein lieber Schwiegerpapa Waldemar, Johanns Papa, unheimlich plötzlich mit 51 Jahren gestorben. Ein Jahr vorher kam die Diagnose: Krebs. Ihr wisst, dass auch mein Papa in diesem Jahr sehr krank wurde und nur vier Monate nach Waldemar gestorben ist, unsere liebe Oma starb nur 2 Monate vor meinem Schwiegerpapa. Drei der wichtigsten Menschen innerhalb von sechs Monaten verloren. Darauf waren wir nie und nimmer vorbereitet. Dieses Jahr hat uns eine Menge abverlangt und natürlich tut es das immer noch. Wahrscheinlich wird es immer so sein, denn es wird nicht unbedingt leichter. Je länger sie fehlen, desto länger fehlen sie eben und genauso lang vermisst du sie. Aber wir gewöhnen uns an den Schmerz und haben nach und nach die Kraft gefunden, ihn zu channeln und daraus Neues und Gutes erwachsen zu lassen. Erlebnisse wie diese ändern einfach deine Sicht auf das Leben. Obwohl sie so schmerzhaft sind, lassen sie dich dankbarer werden als vorher. Alles, was vorher so groß erschien ist plötzlich klein angesichts dessen, was dir grade passiert ist. Es gibt sie, diese Zeiten im Leben, in denen sich der Boden auf dem du stehst plötzlich in Treibsand verwandelt und dein Herz schwer wird wie Blei. Gestern war das Leben noch ohne Sorgen, heute kannst du dich an dieses Gefühl kaum noch erinnern. Das einzige, was dich in einer solchen Situation retten kann ist aber das Leben selbst. Die Liebe. Die Erinnerungen an Geschichten, die dich lächeln lassen. Die Gewissheit, dass du die Hoffnung niemals aufgegeben hast. Obwohl es so leicht gewesen wäre.

Am Ende kannst du nicht immer gewinnen aber allein die Möglichkeit macht das Kämpfen unverzichtbar.

Wie gut, dass unser Waldemar gekämpft hat. Dass er gelebt hat, bis zum letzten Augenblick. Vielleicht weißt du noch nicht ganz, worauf ich hinaus will aber ich muss dir diese Geschichte erzählen, damit du mich verstehst.

Wir wollten nicht, dass er an einem verregneten Tag alleine im Bad seines Krankenzimmers während seiner Chemotherapie seine Haare abschneiden würde. Wir wollten auch nicht, dass er alleine jedes Haar zählen würde, was er verlieren würde. Seine Chemotherapie stand kurz bevor und wir wollten bei ihm sein und ihm zeigen, wie wunderschön er ist, egal wie er aussieht. Dass ein Lächeln das Schönste ist, was er anhaben kann. Er war einfach ein Witzbold. Er hat uns immer zum Lachen gebracht und es war unser Wunsch, ihm das zurückzugeben. In solchen Momenten ist eine Familie wie der Hafen, in dem dein Herz verweilen darf. Ein Zuhause, in dem du dich nicht verstecken musst. Ein Ort, an dem du mit deinen Tränen und deinem Lachen gleichermaßen willkommen bist. Um ihm das Abschneiden seiner Haare und seines geliebten Bartes zu erleichtern, dachten wir uns Verkleidungen aus und fotografierten ihn mit dem vollen Repertoire aller seiner Gesichtsausdrücke. Ehrlich gesagt, stammen die meisten Ideen von ihm selbst. Er lachte aus ganzer Seele, weil er es liebte, unser Clown zu sein. Das war sein Element. Ein Clown lächelt auch dann, wenn sein Herz schwer ist. Es mag banal erscheinen. Es sind doch nur Haare, magst du denken? Aber in einer solchen Situation können die kleinsten Veränderungen dir Angst machen, mögen sie noch so unwichtig erscheinen.

Meine Güte, wie schön war dieser Nachmittag in einer Zeit, in der wir einfach sehr viel Angst hatten! So entstand dieses Bild und viele mehr. Für uns alle eine ewige Erinnerung an sein Wesen. An sein Lächeln. Seine Grimassen. Er hat stets für das Leben gekämpft und dabei nie sein Lachen verloren. Wenn wir dieses Bild heute ansehen, dann hilft es uns den Schmerz auszuhalten. Die Gewissheit zu haben, dass dieser Nachmittag sein Herz erleichtert hat. Er war nicht alleine. Und wenn man nichts an einer Situation ändern kann so ist es doch wahnsinnig gut, einfach nicht alleine zu sein. Wir wissen, dass er Spaß hatte obwohl diese Krankheit einfach die Hölle auf Erden sein kann. Dieses Bild erinnert uns daran, dass du die Menschen, die du liebst, heute und nicht morgen zum Lachen bringen sollst. Dass du Bilder machen sollst, die dich später wirklich an das Gefühl dieses Augenblicks erinnern. Dann, wenn dein Herz vielleicht so schwer ist, dass du es bitter nötig hast. Aber nicht nur dann. Jeden Tag! Um dem Vergessen keine Chance zu geben. Dieses Bild hängt in unserem Wohnzimmer und immer wenn wir ihn sehen, dann denken wir in Liebe an ihn und an die Zeit zurück, die wir hatten. Wir wissen, dass er von dort oben jetzt auf uns aufpasst. Dass er dort nicht alleine ist. Manchmal tröstet uns der Gedanken, dass unsere Lieben wenigstens im Himmel zusammen sind. Wir sind uns sicher, dass sie frei von Schmerzen unsere Schutzengel sind und immer bleiben werden, bis wir uns wiedersehen.

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Die wichtigsten Bilder deines Lebens sind gewissermaßen die Kopiermaschine, auf die du dein Herz legst. Ja, diese Bilder entstanden ziemlich ungeplant und mit dem Handy. Aber ist das nicht völlig egal? Die Technik ist nicht entscheidend, wichtig ist der Sinn des Bildes für unsere Geschichte. Es ist heute ein sehr sehr wichtiges Bild für unsere Familie, so wie alle anderen Bilder dieses Tages. Weil sie ihn zeigen, wie er war. Ein Kämpfer mit Herz. Er selbst sagte einmal zu mir: “Kannst du die Bilder nicht ganz vielen Menschen zeigen? Vielleicht eine Ausstellung machen? Dann können die Menschen sehen, dass Krebs garnicht so schlimm ist. Dass man trotzdem lachen kann.” – dieser Satz spiegelt so viel wieder. Seine Einstellung. Seine Hoffnung. Sein Glaube an das Leben. Auch wenn er den Kampf am Ende verloren hat so sind wir doch wahnsinnig stolz darauf, wie er gekämpft hat. Er hat es sich gewünscht, dass diese Bilder irgendwann einmal gesehen werden und Menschen zum Lachen bringen. Darum spreche ich heute darüber und zeige euch diese Bilder. Vielleicht müsst ihr schmunzeln. Wenn es so ist, wird es ihn dort oben ganz sicher freuen. Im Gedenken an sein wunderbares Wesen. An seinen Humor und seine Witze. Denn seinen Hang sich lieber lustig zu machen als zu weinen hat er bis zuletzt nicht verloren. Es ist so schade, dass er es selbst nicht mehr erleben kann und es ist paradox, denn wie jeder Mensch hätte er es verdient zu leben. Es ist unglaublich, dass er nicht mehr hier ist. Trotzdem ist er auf eine Weise da. Das spüren wir. Manchmal ist es, als würde er jede Sekunde wieder auf unseren Hof laufen und seinen Schaschlikgrill für uns anschmeißen. In unseren Herzen tut er das. Dort lächelt er uns breit ins Gesicht und sagt: “Kinder, macht euch doch keine Sorgen. Es ist alles wunderbar! Fast wunderbar.”

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Es ist manchmal schwer, das Schicksal zu verstehen, wenn es dir gerade den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Wenn du wütend bist und dir wünscht, dass du doch nur noch eine Stunde mit ihm gehabt hättest. Dass du noch einmal sagen kannst, wie sehr du ihn liebst. Wie stolz du auf ihn bist. Auf Wiedersehen sagen zu können. Bis zuletzt war er genau der Mensch, der er für uns sein wollte. Der Papa, der gleichzeitig ein Freund ist. Ein Ehemann, der dich an die Hand nimmt und dir das Leben zeigt, egal wie dunkel es gerade um dich herum ist.

Der Freund, der alles für dich stehen und liegen lässt. Der Freund, der dir den Glauben daran schenkt, dass wirklich alles wunderbar ist. Fast wunderbar.

Wenn er uns eines gelehrt hat, dann ist es, das Leben zu leben. Jeden Tag mit Liebe zu füllen. Deine besten Witze zu erzählen und zu lachen, als gäbe es kein Morgen mehr. Schöne Erinnerungen zu schaffen. Nie im Streit auseinander zu gehen und deine Worte weise zu wählen, wenn du aus dem Zimmer gehst. Bilder zu machen, die deine Gefühle zeigen. Die es schaffen, dein Leben zu berühren. Die dich umdenken lassen, die dich träumen lassen, die dich schlagartig in einen Moment zurückversetzen können. Ich denke, dass wir alle das nie vergessen dürfen. Es ist so wichtig zu erkennen, dass jeder Moment einzigartig und unwiederbringlich ist. Dass das Leben nur dann Sinn macht, wenn wir es mit Liebe füllen und wenn wir anderen mit Liebe begegnen. Denn der Glauben daran, dass die Liebe niemals aufhört und die Grundlage von allem Guten ist, lässt dich Erinnerungen für dich und andere Menschen schaffen, die dein Leben nachhaltig bereichern werden. Erinnerungen, an die du denken kannst und die dich wieder aufstehen lassen. Weil du weißt, wie gut es sich anfühlt, wenn du lachst. Wenn Menschen lachen, die du liebst.

Dass das Leben vergänglich ist, ist nicht das eigentliche Problem. Denn die Liebe legst du nicht mit ins Grab. Es zeigt dir nur, dass du heute Liebe verbreiten sollst – in der Hoffnung, dass du dich morgen darin noch einmal übertreffen darfst. Damit die Liebe bleibt, wenn du irgendwann gehst. Dann bleibt ein Teil von dir immer da. Wenn du heute einen wunderbaren Moment erlebst dann denke daran und öffne dein Herz. Lache aus voller Seele und liebe das Leben.

Deine Hannah.

In Erinnerung an einen wunderbaren Kämpfer. Und in Erinnerung an alle, die ihr Leben an den Krebs verloren haben.

Mit Hoffnung für alle, die noch kämpfen. Ihr könnt es schaffen und ihr seid nicht alleine!