Von den grossen Momenten und den kleinen dazwischen.

Vor zwei Wochen packte mich plötzlich so eine Stille. Ich dachte so oft, dass es schön wäre, wenn mein Dad sehen könnte wo ich jetzt stehe. Dass er so wunderbare Dinge, wie Awardverleihungen, unsere Hochzeit oder unseren Hausbau erleben könnte. Das alles ist so wichtig für mich, dass ich es so gerne mit ihm teilen möchte. Ich will ihn um Rat fragen. Ich will Stolz in seinen Augen sehen und ich will, dass er mich vor Fehlern bewahrt. All das, was man sich eben auch als erwachsenes Kind noch so wünscht. Denn egal wie groß du bist, das innere Kind in dir bleibt ein Leben lang klein und fühlt eben auf seine eigene Weise.

Vieles erinnert mich im November an das, was mir damals den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Das ist auch der Grund wieso ich in dieser Zeit sehr ruhig bin. Mir fehlt manchmal die Energie nach einer Umarmung zu fragen, wenn die Gedanken in meinem Kopf irgendwie Achterbahn fahren. Kennst du das? Wenn du dich in deiner eigenen Stille verlierst. Dann sitze ich manchmal stundenlang da und schaue der Zeit beim Vorwärtsgehen zu. In meinem Kopf schreiben sich Texte über meine Gefühle wie von selbst. Als wäre da oben eine automatische Schreibmaschine verbaut. Und doch fehlt mir dann manchmal die Kraft, den Stift in die Hand zu nehmen und es aufzuschreiben. Es ist eine kreative Zeit, weil ich sie tief in meiner eigenen Seele fühle. Die Zeiger der Uhr drehen sich rastlos und ich spüre trotzdem sehr viel Stille in mir. Ein paradoxes Gefühl. Es ist die Zeit, in der die Tage dunkler werden. Und ich als echtes Sonnenkind komm dann schnell ins Grübeln.

Am vergangenen Samstag war es drei Jahre her, dass ich die bisher bedeutendste Erfahrung meines Lebens gemacht habe. Als mein Dad, mein bester Freund, von einem Moment auf den nächsten das Lebensschiff ohne Vorwarnung verlassen hat. Der Captain ist von Bord gegangen und die Besatzung schaut ratlos auf die Wellen, die sich immer höher türmen. Sie schlagen gegen das Schiff und es droht zu kentern, weil sich alle bis eben darauf verlassen haben, dass einer schon die Führung übernehmen wird. Jemanden zu verlieren, mit dem du felsenfest gerechnet hast, ist wie ein Blitzschlag mitten ins Herz. Es fühlt sich an wie Erwachsenwerden im Schnelldurchlauf, obwohl du noch gar nicht dafür bereit bist. Es ist schwer einen Menschen loszulassen, der so fühlt wie du. Wir alle wollen unsere Seelenverwandten behalten, solange es geht. Mein Dad war jemand, der mich zu 100% verstehen konnte. Oft haben wir dasselbe gefühlt, nur dass er so viel weiser war als ich. Er war meine sichere Bank. Das alles war die wohl größte Herausforderung, die ich bisher gemeistert habe. Und ich bezeichne es bewusst nicht als das Schlimmste, was mir in meinem Leben passiert ist. Denn ob du es mir glaubst, oder nicht: Genau das hat mich bisher wohl am meisten über das Leben gelehrt. Denn es hat die Einzelteile meines Lebens einmal in eine Schüssel geworfen und kräftig durchgemischt. Danach war einiges anders. Durch die Perspektive auf die Dinge ändern sich die Dinge selbst. So manches siehst du zwar im Nebel der Trauer erstmal schwärzer aber in einigem kannst du mit etwas Abstand auch mehr Hoffnung als vorher erblicken. Du kannst das Leben mehr lieben, als jemals zuvor. So paradox es klingen mag. Es ist wahr.

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Und ich blicke in den Tee vor mir und sehe mein eigenes Spiegelbild. Im Moment fällt es ihm manchmal schwer mich anzulächeln. Aber ich weiß: das liegt an dieser Zeit. Die verflixte kalte Jahreszeit. Sie ist einfach nicht mein Ding. Wenn die Tage draußen kürzer werden und die bunten Blätter immer öfters zu Boden fallen, erinnert mich alles an diesen Novembertag vor drei Jahren. Vielleicht liebe ich den Sommer deswegen, weil er so anders ist als der November.

Und dennoch ist auch dies eine Zeit, in der man für vieles dankbar sein kann. Für Seelenfreundschaft zum Beispiel. Denn ich bin so froh, wenn jemand an meine Tür klopft und mich an das Leben da draußen erinnert. Auch mal ohne, dass ich danach gefragt habe. In diesen Zeiten merke ich immer wieder, wie wertvoll wahre Freunde und die eigene Familie sind. Menschen, die mit dir am Boden gelegen haben und dich dort genauso liebten, wie in deinen schillerndsten Zeiten. Sie kennen mich. Sie warten in dieser Zeit nicht darauf, dass ich sie ständig anrufe. Sie wissen, dass ich hier bin. In meiner Stille. Mit mir allein. Und sie strecken immer wieder ihre Hand nach mir aus. Sie kommen vorbei. Sie überraschen mich. Sie nehmen mich ungefragt in den Arm. Sie schenken mir das Wertvollste, was sie haben: Ihre Zeit und ihre Liebe. Diese Menschen sorgen im Sturm für das kleine bisschen Normalität, das du brauchst, um nicht zurückzufallen. Sie erinnern dich an den Weg, den du zurückgelegt hast. Daran, dass du heute schon so viel weiter bist als damals. Dass du stark bist. Sie erinnern dich an das Licht in dir ohne dir dabei auch nur für eine Sekunde deinen Schmerz abzusprechen. Sie haben Geduld und sie erwarten nichts. Wenn es soweit ist sind sie einfach da. Sie sitzen mit dir in der Stille, damit du dort nicht alleine bist. Weil sie wissen, dass jetzt eben diese bestimmte Zeit ist, in der du ein bisschen anders bist. Und sie wissen, dass wieder andere Zeiten kommen, in denen du so unbeschwert bist wie sonst. Dass du dann wieder ständig lachst und nicht so komplizierte Gedanken denkst. Dass du dann nichts lieber tun wirst als mit ihnen unterwegs zu sein. Du weißt von welcher Sorte Menschen ich spreche, oder? Es gibt sie nicht oft. Es ist eine Handvoll Menschen, die dein Inneres für dich tragen, wenn ihm die Puste auf halber Strecke ausgeht. Mein Gott, diese Menschen sind so wertvoll. Sie sind alles für mich. Sie sind meine Helden und ich werde sie ewig dafür lieben, dass sie in dieser Zeit immer wieder etwas so Wichtiges für mich tun. Jahr um Jahr. Diese Menschen, für die du selbst durchs Feuer gehen würdest weil du weißt, dass sie die ersten wären, die dich auf ihre Schultern werfen und dich auf ihrem Rücken durch die Flammen tragen. Meine unbesiegbare Armee von Seelenkämpfern. Ihr seid alles für mich. Ihr seid die besten Menschen.

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Jetzt, wo es drei Jahre her ist, schaffe ich es immer öfter, über meine Gedanken zu schreiben. Und ich hab immernoch so viel in mir, worüber ich sprechen möchte. Weil ich glaube, dass es vielen Menschen da draußen auch mal so geht. Menschlichkeit äußert sich darin, dass wir Spiegelwesen sind.  Wir möchten verstanden werden und deswegen erzähle ich euch von meinem eigenen Weg. In der Hoffnung, dass der ein oder andere sich darin spiegeln kann und sich ebenfalls verstanden fühlt. Aber vor allem gelingt es mir heute überzeugt zu sagen, dass die Liebe wirklich bleibt. Ja, das tut sie. Ob das so ist weiß man ja erst mit genügend Abstand zum Verlust. So viele Menschen haben mir das versichert. Immer und immer wieder. Aber wenn du in der Taubheit der Trauer gefangen bist, fällt es dir schwer das wirklich zu fühlen. Du kannst dir einfach nicht vorstellen, was das bedeutet. Und du fragst dich, ob es stimmt? Drei meiner engsten innerhalb von sieben Monaten gehen zu lassen hat mich jedoch genau das gelehrt: Das Leben ist nicht das, was wir besitzen, was wir anhäufen oder das, was wir uns leisten. Das Leben ist so viel mehr. Das Leben ist die Summe unvergesslicher Momente. Das Leben ist die Liebe, die wir empfangen und verbreiten. Das Leben ist so schön. So unglaublich schön, wenn wir nur unsere Augen in Dankbarkeit öffnen. Denn der Schmerz des Vermissens verwandelt sich in Dankbarkeit und in der Dankbarkeit finden wir die Liebe wieder. Sich Liebe zu wünschen ist verständlich, selbst Liebe zu sein ist weise. Die Liebe ist so unendlich stark und sie überdauert die Trauer bei weitem.

Ich danke Gott in meinem Leben nicht nur für die guten Erfahrungen. Viele meiner wichtigsten Erkenntnisse hab ich auch tatsächlich durch den Schmerz gemacht. Er hat mich darauf aufmerksam gemacht, worauf es mir im Leben wirklich ankommt. Wovon ich mich lösen darf und wonach ich eigentlich suche. Er hat mir einen Hammer vor die Füße geworfen und mir gesagt, dass es an der Zeit ist die Oberfläche zu zerschlagen und zu schauen, was darunter liegt. Für mehr Tiefe. Mehr Seele. Mehr von dem, was ich eigentlich bin.

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Wenn ich also heute hier sitze und darüber schreibe, wie es so ist, durch den Schmerz zu gehen, um zum Licht zu kommen, dann sehe ich einen Weg hinter mir und einen Weg vor mir. Der Weg hinter mir ist gepflastert mit Bildern, die mich an die Liebe in meinem Leben erinnern. Manche von ihnen haben Flecken. Manche strahlen. Manche haben Risse. Doch jedes dieser Bilder hat seinen Platz in meiner Lebensgalerie verdient. Weil sie alle echt sind. Denn am Tage unserer Geburt gleichen wir einem weißen Blatt Papier. Die Geschichte, die wir erleben, wird auf dieses Blatt geschrieben. Seite um Seite. Diese Geschichte kennt kein Radiergummi. Sie ist, wie sie ist. So wie du bist, wie du bist. Ich wünsche mir, dass am Ende meines Lebens daraus ein Buch geworden ist. Mit vielen Autoren, die sich darin verwewigen durften. Ein Buch aus Bildern und Worten. In schwarz-weiß und in Farbe. Ich glaube das ist auch der Grund, wieso ich Menschen mit meinen Bildern an die Liebe erinnern möchte. Weil ich möchte, dass sie eines Tages auch auf ihrem Weg zurücksehen und lächeln können. Dass sie diese Momente für immer abrufen können. Und dass sie lächeln, weil alles gut ist, wie es ist. Egal, wie es grade ist. Und ganz gleich, wie es dazu gekommen ist. Es ist gut so, wie es ist. Dafür drücke ich immer dann auf den Auslöser, wenn ich diese Momente um mich herum sehe. Ich möchte Menschen daran erinnern, dass sie unendlich geliebt sind, indem ich diese Gesten sichtbar mache.

Für mich ist das Festhalten von Momenten kein Beruf sondern eine Lebenseinstellung. Manifeste der Liebe zu schaffen, damit wir uns immer an die Liebe in unserem Leben erinnern können. Auch dann, wenn wir auf dem Lebensweg weiterziehen. Ja, es gehört zum Fluss des Lebens, dass wir weiterziehen. Daran ist nichts verkehrt. Denn das Leben hat noch so viel mit uns vor. Jede Erfahrung ist ein wichtiger Teil des Ganzen. Und dann blicke ich nach vorne und sehe ein Licht über all den Abzweigungen meines eigenen Weges. Ich glaube, dass ich nicht immer die richtigen Entscheidungen treffen werde. Manche der Lebensbilder, die in Zukunft noch entstehen, werden verschwommen und andere wiederum perfekt sein. Manche werden von der Liebe erzählen und manche vom Scheitern. Doch eins weiß ich ganz genau: Sie gehören zu mir. Sie sind das, was ich bin. Sie sind das Manifest eines Menschen, der gelernt hat, dass das Licht nicht nur über den Guten Zeiten schwebt. Und dass es manchmal hinter den Schatten nur Versteck spielt.

Lass das Licht in dein Leben hinein. Aber sitze nicht am Wegesrand und warte, dass es vorbeikommt und seine Strahlen auf dich wirft. Lauf los, mit deiner Armee von Seelenkämpfern und suche es in jeder Weggabelung. Öffne Herz und Augen. Hör niemals auf zu suchen. Schnür deine Schuhe, nimm deinen Rucksack und lauf los. Denn wo auch immer du ankommst, du kannst dir sicher sein, dass das Licht schon dort ist und auf dich wartet. Öffne dein Herz. Geh hinaus und liebe das Leben. Liebe die Menschen und feier die Liebe. Denn jeder, der durch die Tür der Liebe geht wird selbst zur Tür.

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Und dann stehe ich am Abend dieser wundervollen Awardverleihung des BRAUT Magazins letzte Woche auf der Bühne und höre, wie das Knallen der Konfettikanone die Verkündung meines Namens übertönt. Tränen schossen mir in meine Augen. Vor 15 Jahren hat mein Vater die Liebe für Fotografie auf genau der selben Reise durch die USA geweckt, die ich nun nochmal gewonnen habe. Ich reise zurück an diese Orte. Dort hat mein Paps den Grundstein für all das gelegt, was ich heute tun darf. Genau an seinem Todestag erschien die Meldung über meinen Sieg in unserer regionalen Zeitung. Als wüsste das Universum, dass ich ein Zeichen gebraucht habe. Ich fand das unglaublich schön. Und ich sitze hier in meiner Stille und lächle. Denn ich glaube nicht an Zufälle. Ich denke, dass alles seinen Sinn hat. Jedenfalls ist es dem Tod nicht gelungen, uns zu trennen. Im Gegenteil. Er hat mir bewiesen, wie verbunden wir sind. Weil das Leben auf wundersame Weise weitergeht und mir Momente wie diese schenkt. Ich bin unendlich dankbar. Für jeden Schritt auf dem Weg. Und ich werde nicht mehr daran zweifeln, dass du mich nicht begleitest, Papa. Eigentlich weiß ich ja, dass immer bei mir bist. Manchmal verlier ich mich nur im Vermissen. Danke für dieses wertvolle Zeichen. Es ist das, was es ist. Ein Moment der Liebe, der mich an viele andere kleine und große Momente der Liebe in meinem Leben erinnert. Denn was wirklich bleibt sind die Momente, in denen wir geliebt haben. Ob mit Tränen in den Augen oder einem Lachen im Gesicht. Wir haben geliebt. Das ist alles was zählt.

Fühl dich umarmt,

Deine Hannah